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Erwin, der AfD Wähler

Autorenbild: Christoph FrommChristoph Fromm

Der Super-Sunday hinterlässt Spuren, auch bei mir. Ich frage nicht, „wie kann das sein, dass die AfD aus dem Nichts zur drittstärksten politischen Partei in Deutschland wird?" Wer mit offenen Augen und Ohren in diesem Land unterwegs war, konnte die Katastrophe seit Jahren kommen sehen.

Magdeburg 2012. Ich war dort zur Recherche für einen Polizeiruf. Es gab bereits damals Stadtviertel, in die man besser nicht reinfuhr, weil sie von Rechten kontrolliert wurden. Die gesamte Stadt trug deutliche Spuren von einem ganz alltäglich praktizierten Rechtsextremismus, seien es Graffitis, Musik, Kleidung, Tätowierungen, oder die sehr präsenten Fußball Hooligans. Auch die Alltagsdialoge ganz normaler Bürger über Ausländer, den geringen Wert der Demokratie und ihr Gefühl, vom westdeutschen Kapitalismus betrogen und ausgebeutet zu werden, gingen in diese Richtung. Interessant war, dass man im öffentlich-rechtlichen Senderbetrieb auf nahezu unüberwindliche Hürden stieß, weil man einen Fernsehfilm machen wollte, in dem Neonazis eine wichtige Rolle spielten. Das durfte alles nicht sein, wurde wegdiskutiert und weggelogen und der heikelste Punkt war, dass innerhalb des Films sogenannte „Normalbürger", Geschäftsleute, unter gar keinen Umständen mit Neonazis zusammenarbeiten, geschweige denn sich deren Gesinnung zu eigen machen durften. Genau das aber ist längst passiert. Wie ein schleichendes Gift haben sich rechte Wertevorstellungen in der Mitte der Gesellschaft etabliert, das gnadenlose Effizienzdenken eines global agierenden Kapitalismus hat die Solidargemeinschaft pulverisiert, jeder muss sehen, wo er bleibt, und wem das nicht gelingt, dem bleibt Hartz IV. Angst ist in Aggression umgeschlagen. Niemand kann mehr so recht glauben, dass die gewaltigen Schulden, die Europa während der sogenannten Finanzkrise aufgehäuft hat, abgetragen werden können, ohne dass es sehr schmerzhafte Einschnitte geben wird. Viele befürchten eine neue Währungsreform. Und jetzt auch noch die Flüchtlinge! Natürlich hätte man mit einer klugen, diplomatischen Politik, die jetzt vor unseren Grenzen stehenden Flüchtlinge auf ganz Europa verteilen können, die strikte Weigerung der Osteuropäer ist aber auch eine Quittung für die Bevormundung durch Deutschland, sowohl während der Finanz- als auch zu Beginn der Flüchtlingskrise. Osteuropa musste bei seinem Eintritt in die Europäische Union einen harten Weg gehen. Viele Menschen arbeiten nach wie vor in Westeuropa zu Dumpinglöhnen, häufig ohne jede soziale Absicherung. Man hat wenig Solidarität erfahren und ist jetzt nicht bereit, das Wenige, das man sich hart erarbeitet hat, zu teilen. Aber man muss nicht bis nach Osteuropa, noch nicht einmal bis in die neuen Bundesländer fahren, um dieser Haltung der Angst und der Ressentiments zu begegnen. Die Furcht vor sozialem Abstieg hat längst den ganz normalen westdeutschen Mittelstand erreicht. Das Schlimme ist, diese Furcht ist nicht irrational, sie ist durch die weltpolitische Lage absolut begründet. Die großen Konzerne dieser Welt haben, tatkräftig unterstützt von den Regierungen ihrer Länder, die Ausbeutungspolitik übertrieben, die Folge sind fanatisierte Menschen, die mittlerweile offensichtlich zu allem fähig sind. Der religiöse Fanatismus kann in Afrika und im Nahen Osten nur auf so fruchtbaren Boden fallen, weil vielen Menschen schlicht die Existenzgrundlage entzogen ist. Die Radikalität schaukelt sich auf beiden Seiten immer weiter hoch. So wie Heinrich Mann vor dem 1. Weltkrieg der Prototyp des deutschen Spießers beschäftigt hat, interessiert mich in meinem neuen Roman der Prototyp des heutigen deutschen Kleinbürgers. Ich wollte keinen Neonazi zeichnen, sondern einen scheinbar ganz normalen Mann, hinter dessen Fassade ein Abgrund aus Abstiegsängsten, Identitätsverlust und der Sehnsucht nach einer scheinbar heilen Welt wie der Natur brodelt. Einer Natur, der die Ängste und Hoffnungen der Menschen schlicht gleichgültig sind, weil sie einfach da ist und nichts weiter. Wäre meine Hauptfigur Erwin real, hätte er möglicherweise AfD gewählt, zumindest mit so einer „patenten Frau" wie Frauke Petry sympathisiert. Im Mikrokosmos meines Romans geschieht, was in der Gesellschaft zu beobachten ist: Erwin kapselt sich durch seine Ängste immer mehr ab, gleichzeitig will er verzweifelt dazu gehören, auch wenn er von den Kunststudenten, die ein Angelseminar bei ihm gebucht haben, nur verlacht wird. Das erinnert mich in der Tat an den AfD Wähler, der Hartz IV empfängt aber eine Partei wählt, die Hartz IV abschaffen will. Menschen, die verzweifelt sind, entwickeln häufig die zwanghafte Neigung, ihren Untergang zu forcieren. Was in meiner Geschichte mit dem Augenzwinkern der Komödie gerade nochmal gut ausgeht, könnte sich in der aktuellen Lage Europas ganz anders fortschreiben. Wollen wir´s nicht hoffen.

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